Als ich vor Jahren nach Deutschland kam, hatte ich nur einen Rucksack – nur mit dem Notwendigsten. Mehr konnte und wollte ich nicht mitnehmen. Denn damals mussten die Ausreisenden jede Kleinigkeit, die sie mitgenommen haben – inklusive Unterwäsche – deklarieren und verzollen. Das war erniedrigend und peinlich. Später fing ich an, jedes Mal wenn ich nach Prag fuhr, ein Glas zu kaufen. Mal ein kleines, mal ein größeres. Inzwischen habe ich einen ganz Schrank voll davon: eine glitzernde Sammlung, zarte Erinnerungstücke, kleine Begleiter, stumme Genossen. Und es ist gut, dass Glas auch mal zerbricht, so habe ich auch weiterhin Platz für neue Anschaffungen. Heute reise ich viel, entdecke neue Welten, lebe in vielen Kulturen. Dabei finde ich fast überall eine unscheinbare tschechische Spur. Denn die Menschen mitten in Europa leben seit Jahrhunderten von und mit der Migration. Deswegen gibt es in Tschechien genauso viele Tschechinnen und Tschechen wie im Ausland. Zehn Millionen daheim, zehn Millionen außerhalb des Landes.

Eingereicht von Libuše Černá aus Bremen, August 2020

 

Anmerkung der Redaktion:

Libuše Černá wurde in Prag geboren und siedelte 1977 in die Bundesrepublik Deutschland um. Sie ist Leiterin des „Festivals globale° – Festival für grenzüberschreitende Literatur“ und seit 2010 Vorsitzende des Bremer Rates für Integration. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Deutschen Einheitspreis (2010), der Medaille Artis bohemiea amicis des Tschechischen Kultusministeriums (2012) und dem Bundesverdienstkreuz des Bundespräsidenten (2016) ausgezeichnet.

Foto: Pokal mit Rankendekor, Böhmen um 1830-1840, © Jürgen Andermatt / Focke-Museum Bremen