Dieser Stein war Zeuge rassistisch motivierter Morde: Er stammt aus dem Fundament des Zweifamilienhauses in Solingen, in dem am 29. Mai 1993 fünf Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte bei einem Brandanschlag von Neonazis ermordet wurden: Gürsün İnce, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç.
Zu den Jahrestagen des Brandanschlags finden im Solingen und darüber hinaus Gedenk- und Protestveranstaltungen statt. Auf die Ruine des Wohnhauses wurden auf Wunsch der Familie Genç fünf Kastanien gepflanzt. Dort wurde auch ein Gedenkstein aufgestellt.
Im Mai 1994, ein Jahr nach dem Anschlag, wurde ein Mahnmal eingeweiht. Es besteht aus zwei Figuren, die ein Hakenkreuz zerreißen, umgeben von Metallringen mit den Namen der Ermordeten und von Anteilnehmenden. Das Mahnmal wurde jedoch nicht – wie ursprünglich vom Rat der Stadt entschieden – im Stadtzentrum, sondern außerhalb errichtet. Dies wurde damit begründet, dass es den „sozialen Frieden“ in der Stadtmitte nicht gefährden solle. Auch sorgten sich Politiker*innen und Bürger*innen um den „Ruf der Stadt“.
Seit 2008 erinnern der „Genç-Preis für friedliches Miteinander“ und seit 2012 der Mercimek-Platz, der nach dem Geburtsort einiger der Ermordeten benannt ist, an die Opfer des rassistisch motivierten Brandanschlags.
Mevlüde Genç, Mutter, Großmutter und Tante der Ermordeten, erhielt 1996 das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement gegen Rassismus und für Versöhnung.
Zunahme rassistisch motivierter Gewalttaten
In den Jahren nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 verübten Neonazis an zahlreichen Orten in Deutschland vermehrt rassistisch motivierte Morde und weitere Gewalttaten gegen Menschen, die sie als „Ausländer“ und insbesondere als „Asylbewerber“ einordneten. Zu dieser Zeit waren die politischen Debatten und das politische Klima von offenem Rassismus geprägt. Ein zentraler Motor hierfür waren die Anti-Asyl-Politik und die Kampagne der CDU/CSU gegen einen angeblichen Missbrauch des Asylrechts, die von einflussreichen Medien unterstützt wurde. Drei Tage vor dem Anschlag in Solingen, am 26. Mai 1993, beschloss der Bundestag – mit Zustimmung der FDP und der SPD-Opposition – eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.
Bundeskanzler Helmut Kohl, ein zentraler Vertreter des Anti-Asyl-Kurses, nahm nicht an der Trauerfeier für die fünf in Solingen ermordeten Menschen teil. Sein Regierungssprecher begründete dies mit „weiß Gott anderen wichtigen Termine[n]“ Kohls und damit, dass man nicht „in Beileidstourismus ausbrechen“ wolle. Den Trauer- und Gedenkfeiern zu den zahlreichen Opfern rassistischer Gewalt bundesweit blieben in den 1990er Jahren hochrangige Politiker*innen meist fern. Dies änderte sich in Solingen zu späteren Jahrestagen; so hielt beispielsweise 2000 Bundespräsident Johannes Rau dort eine Gedenkrede und 2013 Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Ansprache im Düsseldorfer Landtag.
Über die Form des Gedenkens werden laufend Auseinandersetzungen geführt. Wie still bzw. wie laut sollte den Opfern rassistisch motivierter Gewalt gedacht werden? Sollten das Trauern und der Wunsch nach einem friedvollen Miteinander im Zentrum stehen oder sollte das Gedenken immer mit politischen Forderungen verknüpft sein?