12. September 2018

Wie können Stadtrundgänge zu einem kritischen Geschichtsbewusstsein in der Migrationsgesellschaft beitragen? Wie wirkt die deutsche Kolonialvergangenheit fort und wie lässt sie sich in der Stadt sichtbar machen? Regt es zum Perspektivwechsel ein, wenn Menschen mit einer eigenen Flucht- oder Migrationsgeschichte ihre Lieblingsorte zeigen? Diese und viele weitere Fragen wurden auf einem Workshop diskutiert, zu dem unser Projekt „Gemeinsam unterwegs? Geschichte(n) der Migrationsgesellschaft“ am vergangenen Samstag nach Köln eingeladen hatte.

Der Einladung waren 23 Personen aus 18 Gruppen aus ganz Deutschland gefolgt. Was sie verbindet: sie alle geben oder organisieren Rundgänge in ihrer Stadt. Die Ansätze unterscheiden sich: Bei vielen wird ein Schwerpunkt auf koloniale Zusammenhänge gelegt, andere erkunden die Migrationsgeschichte eines Stadtteils, wiederum andere betonen globale historische Prozesse. Ihnen gemeinsam: Sie alle stellen transkulturelle Bezüge her und hinterfragen damit eine Vorstellung von Geschichte und Gegenwart, die von einer statischen, homogenen deutschen Nation ausgeht. Es wurde also Zeit, diese Akteur*innen an einen Tisch zu bringen und sich miteinander zu vernetzen. Dafür hat DOMiD nun eine Plattform geschaffen.

Nach einer Begrüßung durch das Projektteam erläuterte DOMiD-Geschäftsführer Dr. Robert Fuchs, das Konzept der von DOMiD angebotenen Stadtrundgänge. Anhand von Kölner Sehenswürdigkeiten und Erinnerungsorten soll die Geschichte gegen den Strich erzählt werden und so die vielfältigen Bezüge aus 2000 Jahren Migration in der Stadt aufgezeigt werden. In einer anschließenden Runde wurden die Ziele und Methoden der unterschiedlichen Stadtrundgänge vorgestellt sowie gegenseitige Anknüpfungspunkte und Unterschiede diskutiert. Die Stadtrundgänge verbindet das Anliegen, Perspektivenwechsel anzuregen, Gegenerzählungen zu bestehenden Geschichten über die jeweilige Stadt anzubieten und Stereotype aufzubrechen. Insbesondere postkoloniale Gruppen und Initiativen versuchen in ihren Rundgängen rassistische und koloniale Muster in Sprache, Stadtplanung und lokaler (Erinnerungs-)Politik offenzulegen.

Zu gemeinsam ausgewählten Fragestellungen diskutierten die Teilnehmenden in kleinen Gruppen im sogenannten World-Café-Format. Thematisiert wurde wie Vielstimmigkeit erreicht werden kann und wie aus weißer, privilegierter Perspektive über Rassismus gesprochen werden kann. Die Erfahrungsberichte zu verschiedenen eingesetzten Methoden boten zahlreiche Impulse zur Weiter­ent­wicklung der Rundgänge. Praktische Erfahrungen tauschten die Teil­nehmen­den auch dazu aus, wie das Publikum von Stadtrundgängen von passiven Konsument*innen zu aktiven Dialogpartner*innen werden kann. Gemeinsam entwarfen die Teilnehmenden Ansätze und Vorgehensweisen dazu, wie sie mit An­fein­dungen während und außerhalb der Rundgänge umgehen können.

Einen Abschluss fand der Workshop mit einem Stadtrundgang über die Keupstraße im rechtsrheinischen Teil Kölns. Die Keupstraße gilt weit über die Grenzen der Stadt hinaus als Symbol selbstbewussten migrantischen Lebens in Deutschland. Der öffentliche Diskurs ist jedoch von rassistischen Stereotypen durchdrungen. Im Jahr 2004 verübte das rechtsterroristische Netzwerk NSU dort einen verheerenden Bombenanschlag. Bis zum Auffliegen des NSU wurde gegen die Bewohner*innen der Keupstraße als Tatverdächtige ermittelt.
Peter Bach und Mitat Özdemir von der Geschichtswerkstatt Mülheim und der Initiative  Keupstraße ist überall führten als Tandem die Teilnehmenden über die Straße und gaben Einblicke in Migrationsgeschichte(n), die Auswirkungen rassistischer Verleumdungen und den Alltag auf der Straße.

„Wir freuen uns, dass wir einen ersten Schritt gemacht zu einer Vernetzung von kritischen Stadtrundgängen haben“, resümiert Projektleiterin Dr. Caroline Authaler. „Wir hoffen, dass es im Rahmen unserer Tour durch ganz Deutschland ein Wiedersehen geben wird und die Gruppen ausgehend von unserer interaktiven Lern- und Erzählplattform Rundgänge anbieten. Gemeinsam mit Initiativen, die neue und kritische Perspektiven auf die jeweiligen lokalen Kontexte werfen, kann es gelingen, vielstimmige Geschichten über die Migrationsgesellschaft zu erzählen“, so Authaler.