Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, die ich teilweise in Brasilien verbracht habe,
muss ich immer an Autofahrten denken. Denn gefühlt habe ich an keinem Ort mehr Zeit
verbracht als im Auto. Am Wochenende oder in den Ferien sind wir immer irgendwohin
gefahren – Wandern, zum Strand, Segeln, Zelten oder Spazieren in historischen Städtchen
Mitten im Nirgendwo, hinter irgendwelchen Bergen. Immer waren wir unterwegs, lange
Fahrten, die sich wie Tage anfühlten, die Rückbank wie ein zweites Bett, auf der mein
Bruder und ich uns ausstreckten. Und im Hintergrund lief immer Musik. Meine Eltern
spielten Kassetten und CDs von Bands und Künstlern wie Paralamas do Sucesso, Rita Lee,
Zizi Possi, RPM und Kid Abelha.
Immer wenn ich diese Bands und Sänger höre, muss ich an Brasilien denken, daran, dass
viele Menschen hier in Deutschland sie noch nie gehört haben und wahrscheinlich auch
nicht wissen, was die Musik für mich bedeutet und welche Erinnerungen ich mit ihr
verbinde. Es ist Musik auf meiner Muttersprache, die ich inzwischen nur gelegentlich
spreche und höre. Es ist eine der wenigen “Brasilianitäten” meines Alltags in
Deutschland. Und immer wenn ich das Gefühl habe, ich vergesse die langen Autofahrten
in unserem silbernen Fiat unter der prallen brasilianischen Sonne, spiele ich die alten
zerkratzten CDs meiner Eltern und singe lauthals mit. Musik ist für mich nicht nur Musik.
Musik erinnert mich daran, wer ich bin und woher meine Familie kommt.
Eingereicht von Ilona aus Köln, Juli 2020