Im marokkanisch-arabischen Dialekt spricht man vom Leben in „al Ghorba“, wenn man meint, dass jemand irgendwohin aus Marokko migriert ist. Wörtlich übersetzt bedeutet es in etwa „Ferne“.

Die Sehnsucht auf beiden Seiten ist groß. Man vermisst sich zu umarmen, miteinander Zeit zu verbringen und die Stimmen der jeweils anderen zu hören. Als mein Vater 1973 nach Deutschlang kam, war es für ihn – wie für viele andere – nicht möglich, die Familie in der Ferne regelmäßig zu besuchen oder mit ihr zu sprechen. Auch als ich noch ein Kind war, konnte sich nicht jede*r einen Flug leisten und nicht alle in Marokko hatten ein Telefon. Und so wurden wir in al Ghorba und diejenigen daheim sehr kreativ. Wir setzten uns vor den Kassettenrecorder und nahmen lange Nachrichten auf. Wir erzählten, wir grüßten alle Familienmitglieder einzeln und wir wünschten uns ein baldiges Wiedersehen. Die Kassetten wurden per Post verschickt und erreichten erst nach Wochen, nicht selten erst nach Monaten die Familie in Marokko. Dort versammelten sich dann alle vor einem Recorder unter freiem Himmel auf dem Flachdach des Hauses. Gespannt hörten sie die lang ersehnten Nachrichten und weinten und lachten dabei. Man könnte sagen, wir in al Ghorba nutzten einen Vorläufer von WhatsApp- Sprachnachrichten 😉.

Eingereicht von Ikram Errahmouni-Rimi aus Bremen, August 2020

Anmerkung der Redaktion:

Ikram Errahmouni-Rimi ist Juristin mit dem Arbeitsschwerpunkt Antidiskriminierung. Sie arbeitet als hauptamtlich Mitarbeitende im öffentlichen Dienst und ist als Lehrbeauftragte in der Aus- und Fortbildung von Landespolizeien in Norddeutschland zu Antidiskriminierung, Hasskriminalität und Rassismus tätig. Darüber hinaus ist Ikram Errahmouni-Rimi freiberufliche Referentin zu Antidiskriminierungs- und Antirassismusthemen.

Foto: Eine Original-Kassette mit Sprachnachrichten der marokkanischen Familie